Zur Geschichte:
Warum „Back to Bambi“?
Von Klaus E.R. Lindemann
Enno-Ilka Uhdes Werk zum 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe trägt den Titel „Back to Bambi“. Was hat es damit auf sich?
„Back to Bambi“ erinnert an den Begriff „back to the roots“ – zurück zu den Wurzeln, zur Quelle. Diesen Appell, diese Aufforderung verkörpert auch die Figur des Bambi.
Sie hat eine ganz besondere Beziehung zur Majolika und zu Karlsruhe. Für beide ist sie so etwas wie eine symbolische Leit- und Erkennungsfigur geworden, die viel erlebt hat und die viel zu erzählen weiß.
Die Namensgebung ist eine lange Geschichte. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1923. Damals erschien das Buch des österreichischen Schriftstellers Felix Salten „Bambi – Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“. Der Autor erzählt darin anschaulich, poetisch und zugleich sehr realistisch, wie das Rehkitz „Bambi“ aufwächst und lernt, sich im Leben mit all seinen Schwierigkeiten zu Recht zu finden. Das Buch wurde ein großer Erfolg. 1928 erschien es auch in englischer Sprache. Selbst in den USA war man darauf aufmerksam geworden und fand Gefallen daran.
1933 erwarb Sidney Franklin, Regisseur des großen amerikanischen Filmproduzenten Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) die Filmrechte. Allerdings war er mit der Umsetzung der anrührenden Bambi-Geschichte als „Realfilm“ keinesfalls zufrieden. Deshalb brach er die begonnenen Dreharbeiten kurzerhand wieder ab. Er hatte eine bessere Idee: Die Bambi-Story sollte ein Zeichentrickfilm werden. Damit beauftragte er keinen Geringeren als den berühmten Walt Disney. Ein echter Glücksfall. Das war 1936. Die Arbeiten am Film dauerten relativ lange. Erst 1942 wurde er fertig. Ende 1950 kam er dann auch in Deutschland in die Kinos. Damals sendete übrigens der „Südwestfunk“ in Baden-Baden Saltens Bambi-Geschichte als Hörspiel. Die Rolle des jungen Bambis durfte der zehnjährige Tim Engel sprechen. Auch bei der Synchronisierung des Walt-Disney-Filmes im selben Jahr war Tims Bambi-Stimme gefragt. Ob sich Tim, der uns heute unter dem Namen Frank Elstner vertraut ist, noch an diese denkwürdige Produktion erinnert? Bestimmt. Solche medialen Auftritte in frühester Jugend vergisst man nicht.
Zur gleichen Zeit, in der Walt Disney mit seinen Bambi-Film-Arbeiten begann, arbeitete in der Karlsruher Majolika die Heidelberger Bildhauerin Else Bach (1895-1951), die für die Majolika über 50 Tierfiguren geschaffen hat, an einer kleinen hübschen Reh-Skulptur.
Sie wurde in das Produktionsprogramm der Majolika aufgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der auch an der Majolika-Manufaktur nicht spurlos vorübergegangen war – das Hauptgebäude und die Malwerkstätten waren 1944 bei einem Bombenangriff stark getroffen worden – gestalteten sich der Wiederaufbau und der Neubeginn äußerst schwierig. Die 120 Mitarbeiter konzentrierten sich zunächst fast ausschließlich auf die Herstellung von keramischen Gebrauchsgegenständen. Aber bald behauptete auch die Kunst wieder ihren Platz in der ehemals weltweit hoch geschätzten und erfolgreichen Karlsruher Kunst-Keramik-Werkstatt. Da durfte Else Bachs niedliche Reh-Figur nicht fehlen.
Eben diese Figur entdeckte 1948 der Karlsruher Verleger Karl Fritz bei einem Besuch in der Majolika-Manufaktur am Ahaweg. Sie gefiel ihm, war er doch auf der Suche nach einer geeigneten Ehrengabe für den von seinem Verlag ( in dem u.a. die „Die Filmrevue“ und „Die neue Filmwoche“ erschienen ) vergebenen Filmpreis für die beliebtesten Filmstars. Den ersten, damals noch namenlosen Preis, erhielt die Schauspielerin Marika Rökk. Als sie – so erzählt man – mit diesem weißen Keramik-Rehkitz nach Hause kam, soll ihre vierjährige Tochter Gaby spontan gesagt haben „Mama, das sieht ja aus wie das Bambi“. Seitdem trägt der bis heute vergebene „Deutsche Oscar“ den Titel „Bambi-Preis“. Karlsruhe war, wenn man so will, der Ursprungsort sowohl der Keramik-Bambi-Figur als auch des Bambi-Film-Preises, der sich bis heute großer Beliebtheit erfreut und hohe TV-Einschaltquoten garantiert.
Vor 60 Jahren, am 6. März 1955, ging die Bambi-Feier als große Gala-Veranstaltung erstmals über die Bühne. Zunächst noch im Großen Haus des Badischen Staatstheater am Festplatz – dem heutigen „Konzerthaus“ . Ab 1956 dann in der 1953 erbauten „Schwarzwaldhalle“. Ihr Architekt Erich Schelling hatte mit seinem eigenwilligen, geschwungenen „parabolischen Hängedach aus Spanbeton“ Baugeschichte geschrieben. Fast ein Jahrzehnt lang bis 1964 bescherten die Bambi-Verleihungen der Stadt eine starke, freundlich-sympathische Medien-Resonanz. Stars und Sternchen gaben sich hier in der Fächerstadt Jahr für Jahr ein Stelldichein sorgten für Glanz und Glamour. Zu den Preisträgern gehörten u.a. Heinz Rühmann (12 mal !), Maria Schell, O.W. Fischer, Ruth Leuwerik, Sophia Loren, Gina Lollobrigida, Rock Hudson, Tony Curtis, Stewart Granger, Gert Fröbe, Dieter Borsche, Sonja Ziemann, Hansjörg Felmy, Liselotte Pulver, Karlheinz Böhm, Lex Barker, Brigitte Bardot, Jean Marais und wie sie alle hießen, die Kinogrößen der Fünfziger und Sechziger Jahre. Für Karlsruhe waren die Bambi-Feiern unvergessliche Ereignisse, glanzvolle Highlights im Veranstaltungskalender der Stadt. Es waren große Momente, als zum Beispiel Sophia Loren gemeinsam mit dem unvergessenen, überaus populären Oberbürgermeister Günther Klotz vom Balkon des Rathauses der begeisterten Menge auf dem Marktplatz hinunterwinkten oder wenn der OB, der immer zu einem Schabernack aufgelegt war, in seinem Dienstzimmer mit Heinz Rühmann frotzelte und ihn in Erinnerung an seinen wunderbaren Film „Der Gasmann“ kurzerhand zum „Ehrengasmann der Karlsruher Stadtwerke“ ernannte. Auch Lilian Harvey, das „süßeste Mädel der Welt“, machte anlässlich einer Bambi-Verleihung bei Günther Klotz Visite. Die Loren hatte der Charmeur galant mit Handkuss begrüßt. Ja, das waren noch Zeiten. Und vor dem „Schloßhotel“, in dem die Bambi-Stars standesgemäß zu logieren pflegten, warteten die Fans manchmal stundenlang, um ein Autogramm ihrer Filmlieblinge zu ergattern.
Längst gehen die Bambi-Verleihungen des Burda-Verlages, der 1962 von Karl Fritz den Verlag mit seinen Film-Illustrierten und den Rechten für die glamourösen Bambi-Verleihungen übernommen hatte, nicht mehr in Karlsruhe über die Bühne, sondern jeweils in einer anderen deutschen Stadt. Leider. Der Grund: Aus Verärgerung über unfreundliche Berichte in der Karlsruher Lokalpresse hatte der mächtige Medienzar Franz Burda 1965 der Fächerstadt die kalte Schulter gezeigt und das Bambi abwandern lassen. Nur noch einmal kehrte es heim in seine Geburtsstadt: 1998 zum 50jährigen Bambi-Jubiläum. Jedoch nicht die traditionsreiche, aber in die Jahre gekommene Schwarzwaldhalle war diesmal Austragungsort für die schöne „Bambi-Wiedersehens-Feier“. Hubert Burda, der Stadt Karlsruhe durchaus zugetan, hatte sich für das ZKM mit seinem ungewöhnlichen Ambiente entschieden. Ein Highlight dieses Bambi-Festes: Marika Rökk – inzwischen 85 – die, wie gesagt, als erste Schauspielerin 1948 den Bambi-Preis erhalten hatte, wurde – 50 Jahre danach – mit dem „Jubiläums-Bambi“ ausgezeichnet. Ein bewegender Moment.
Doch die Burda-Bambi-Figur war nicht mehr eine Original-Replik des Rehkitz von Else Bach. Bereits seit 1958 ließ der Verlag ‚sein’ Bambi nicht mehr in der Majolika als Keramik-Figur fertigen, sondern in einer Kunstgießerei im Schwäbischen – als vergoldete Bronze-Figur. Damals, zum zehnten Bambi-Geburtstag, hatte der Karlsruher Bildhauer Emil Sutor den Auftrag erhalten, die grazile Rehfigur von Else Bach einer Relaunch zu unterziehen und ihr ein neues Antlitz zu geben. Etwas wertvoller, kostbarer sollte der angesehene Film-Preis aussehen. Es war nicht die letzte Design-Korrektur die das Bambi erfuhr. Inzwischen wurde das Outfit der glänzenden Figur erneut „modernisiert“ und noch ein wenig schnittiger gestylt.
Aber golden ist es geblieben und auch an die goldenen Karlsruher Bambi-Zeiten erinnert es immer wieder neu
‚Echte’ Keramik-Originale der Majolika-Bambi-Version kann man übrigens noch im Badischen Landesmuseum bewundern und sogar im „Haus der Geschichte“ in Bonn hat die Majolika-Figur aus der ehrwürdigen Karlsruher Manufaktur in einer schönen Vitrine einen bleibenden Ehrenplatz erhalten.
Und noch ein Tipp für alle, die das Bambi als Majolika-Original besitzen wollen: Noch immer wird es – als echter Longseller – in der Keramik-Kunst-Werkstatt in Karlsruhe mitten im Hardtwald am Ahaweg produziert. Unweit des Schlosses, zu dem der Stadtgründer Karl Wilhelm vor 300 Jahren den Grundstein gelegt hat. Schloss und Majolika sind eng verbunden durch ein schnurgerades Band, bestehend aus 1645 in der Majolika gebrannten und im Jahr 2000 installierten Boden-Fliesen. Schlossgarten-Besucher folgen gerne diesem markanten Strahl. Und wenn sie dann noch weiter spazieren, können sie, wenn sie Glück haben, auch heute noch in den Hardtwald echten Rehen mit ihren „Bambis“ begegnen. In der Programm-Palette der Majolika steht das Bambi nach wie vor ganz oben. Das Bambi traditionell oder in aparten Varianten. In unterschiedlichen Größen und verschiedenen Farben – natürlich auch mit goldener Glasur. Denn wer wollte nicht auch, so wie die berühmten Film- und Medien-Stars ein goldenes Bambi sein eigen nennen? Bambi-Freunde, denen die Bach-Version zu bieder und zu brav erscheint, seien die netten frechen, freizügigen Bambi-Derivate, gestaltet von heutige Majolika-Künstlerinnen und Künstlern, besonders empfohlen.
Die Bambi-Figur – nicht nur Leit- und Erkennungsfigur für Karlsruhe und seine Majolika, sondern eine gefragte Kultfigur, die auch junge Menschen anspricht? Wäre schön. Die Manufaktur arbeitet jedenfalls daran. Auch durch das Uhde-Projekt könnte das Majolika-Bambi eine Renaissance erfahren. Und vielleicht kommt ja auch die Burda Bambi-Gala mal wieder zurück in die Fächerstadt. 2018 würde gut passen – zum 70.Bambi-Geburtstag. So gesehen sollte der Rückblick auf die erfolgreiche Vergangenheit der Majolika zugleich Ansporn und Verpflichtung sein, alles zu tun, um noch möglichst viele weitere Jahre die Geschicke der Stadt mit schönen Keramikarbeiten aus der Majolika künstlerisch begleiten zu können.
Auch deshalb „Back to Bambi“.